mercredi 7 juillet 2010

Der ökonomische Ansatz und seine natürlichen Grenzen

In Ökonomie ist Sozialwissenschaft beschreibt Bruno S. Frey den Menschen als grundsätzlich rationales Wesen, welches innerhalb seines so genannt ipsativen Möglichkeitsraumes seinen Nutzen zu maximieren versucht. Dieser homo oeconomicus reagiert auf Anreize, die durch seine Präferenzen und seine Einschränkungen, die durch Institutionen vermittelt sind und ihrerseits den Möglichkeitsraum bestimmen, geschaffen werden. Im Zentrum des ökonomischen Ansatzes ist somit weder die Gruppe oder gar die Gesellschaft, der Betrachtungsgegenstand liegt aber auch nicht auf der subpersonalen Ebene, sondern es wird von einem methodologischen Individualismus ausgegangen, der primär den einzelnen Handelnden im Blickfeld hat. Frey beschreibt überzeugend, wie dieser Ansatz für viele Fragestellungen der Sozial- und sogar der Geisteswissenschaften fruchtbar gemacht werden kann. Zugleich schliesst Frey nicht aus, dass auch andere Disziplinen zu einem Erkenntnisgewinn führen können. Ausserdem weist er darauf hin, dass die Erkenntnisse der Verhaltenspsychologie in der Tradition von Simon und Kahneman und Tversky von der Ökonomie berücksichtigt werden müssen.

In den zwanzig Jahren seit Erscheinen von Freys Buch haben sich verschiedene Disziplinen entwickelt, von denen ich mich frage, ob sie von der Ökonomie berücksichtigt werden müssen, ob sie mit dem ökonomischen Ansatz synthetisiert werden können, oder ob sie sogar die Grenzen dieses Ansatzes aufzeigen.

So zeigen etwa die Verhaltensökonomie und experimentelle Spieltheorie, dass viele Menschen sich in vereinfachten Marktsituationen kooperativer Verhalten, als dies die Modelle der Eigennutzmaximierung und des reziproken Altruismus erklären können. Seien es die von Ernst Fehr und Klaus Schmidt postulierten „sozialen Präferenzen“ oder sei es das jüngst von James Woodward im Detail herausgearbeitete Konzept der „conditional cooperation“ – haben wir hier ein Phänomen, welches explanatorisch noch grundlegender ist als das Konzept des homo oeconomicus? Widersprechen diese Phänomene dem ökonomischen Ansatz sogar? Ähnliche Fragen stellen sich bei der Forschung der jüngsten Ökonomie-Nobelpreisträgerin Elinor Ostrom, die in einem natürlichen Setting zu ähnlichen Befunden wie die Verhaltensökonomen kommt.

Eine der Verhaltensökonomie komplementäre Herangehensweise an die Frage nach den Grundlagen menschlicher Kooperation findet sich beim Primaten- und Kleinkindforscher Michael Tomasello. Mit Rückgriff auf das von den philosophischen Handlungstheoretiker Margaret Gilbert und John Searle mitentwickelte Konzept der „shared agency“ behauptet Tomasello, dass es die Fähigkeit zur Festsetzung gemeinsamer Handlungsziele und die Erkenntnis der Intentionen anderer sind, die die Einzigartigkeit des Menschen im Tierreich ausmacht und die Voraussetzung nicht nur der sozialen und kooperativen Elemente des menschlichen Zusammenlebens ist, sondern auch der menschlichen Sprach- und Kulturfähigkeit. Im Lichte einer kritischen Beurteilung des ökonomischen Ansatzes und dessen methodologischen Individualismus stellt sich für mich die Frage, ob Gemeinschaftshandlungen jeglicher Art von dem individualistischen Ansatz der Ökonomie ohne Rückgriff auf die evolutionsbiologische Phylogenie des Menschen einerseits und soziale Normen als konstitutive Elemente des Handelns (anstatt der Handlungseinschränkungen) vollständig erfasst werden können. Ich bin geneigt, die Frage zu verneinen. Deshalb vermute ich, dass neben der philosophischen Handlungstheorie und dem Werk Tomasellos möglicherweise auch die kognitionswissenschaftlichen Debatten zu unserer Fähigkeit, fremde Intentionen zu erkennen, und somit die Diskussionen zwischen der von Alison Gopnik vertretenen „theory theory“ und der von Vittorio Gallese und Alvin Goldman vertretenen „simulation theory“ in ein umfassendes Bild des menschlichen Sozialverhaltens integriert werden müssen.

Literatur:

Fehr, Ernst und Klaus M. Schmidt. 1999. „A Theory Of Fairness, Competition, and Cooperation“, in: The Quarterly Journal of Economics 114 (3), pp. 817-868.

Frey, Bruno S. 1990. Ökonomie ist Sozialwissenschaft, München (Franz Vahlen).

Gallese, Vittorio und Alvin Goldman. 1998. „Mirror Neurons and the Simulation Theory of Mind-Reading“, in: Trends in Cognitive Sciences 2 (12), pp. 493-501.

Gilbert, Margaret. 1989. On Social Facts, Princeton (Princeton University Press).

Gopnik, Alison und Henry M. Wellman. 1992. „Why the Child's Theory of Mind Really Is a Theory“ in: Mind and Language 7, pp. 145-71.

Ostrom, Elinor. 1990. Governing the Commons. The Evolution of Institutions for Collective Action, Cambridge (Cambridge University Press).

Searle, John R. 1995. The Construction of Social Reality, New York (Free Press).

Tomasello, Michael. 1999. The Cultural Origins of Human Cognition, Cambridge, Mass. (Harvard University Press).

Tomasello, Michael. 2009. Why We Cooperate, Cambridge, Mass. (MIT Press).

Woodward, James. 2009. „Why Do People Cooperate as Much as They Do?“, in C. Mantzavinos (Hg.): Philosophy of the Social Sciences. Philosophical Theory and Scientific Practice, Cambridge (Cambridge University Press), pp. 219-266.

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